Die Währung der Humanität

Krisen sind in unseren Zeiten allerorten im Munde der Menschen. Man sollte sich nur an die jüngste Geschichte erinnern: Wirtschaftskrise, Eurokrise, Griechenlandkrise, Syrienkrise, Flüchtlingskrise… Die wichtigste Krise unserer Zeit aber ist eine selbstgemachte Krise der Eliten: Die Krise um die Glaubwürdigkeit – die Krise um die Währung der Humanität und der Demokratie. In einer Gesellschaft, die statt auf Repression auf Aufgeklärtheit setzt, ist Information und Glaubwürdigkeit ohne jeden Zweifel politisch und medial die wichtigste Komponente.

Beide – Politik wie Medien – haben diese Glaubwürdigkeit jedoch verspielt. Aus Gründen von Macht und Machterhalt, blendet Politik diese Thematik gern mal aus. So verkennt man beispielsweise beim SWR deutlich, was Journalismus bedeutet. Weil die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin nicht mit dem AfD-Spitzenkandidaten vor der Landtagswahl im Fernsehen diskutieren wollte, luden die Journalisten die Rechts-Populisten kurzerhand aus. Hier wurde der Parteieinfluss über den Rundfunkrat wohl doch überdeutlich. Journalisten, die sich den Mächtigen anbiedern, indem sie ihre Forderungen erfüllen, machen sich zum Erfüllungsgehilfen der Macht und höhlen unsere Demokratie aus. Die CDU-Spitzenkandidatin hat heute übrigens bekundet, dass sie derlei undemokratische, politisch motivierte Medienklüngelei nicht mitmachen mag – und sagte ihren Auftritt ab – eine Reaktion politischer Ehrlichkeit! Wer statt der politischen Argumentation Ausgrenzung betreibt, handelt undemokratisch. Journalisten, die dies zulassen, handeln entgegen des eigenen Berufsethos!

Nun könnte man von einem Einzelfall sprechen, doch dass gerade wir Journalisten unter fehlender Glaubwürdigkeit leiden, ist für die gesamte Medienlandschaft schädlich – nicht erst seit bei politikkritischen Demonstrationen das doch längst vergessene Wort von „Lügenpresse“ die Runde macht. Dabei ist es fahrlässig, den Journalisten dieses Landes bewusste Täuschung ihrer „Kunden“, der Leser, Hörer und Zuschauer, zu unterstellen. Die Journalisten berichten, was sie sehen, was sie erfahren, was sie recherchieren können. Ja – der Ehrlichkeit halber sollte man sagen, dass auch Journalisten eine grundsätzliche politische Meinung haben (die sie als gute Staatsbürger bei Wahlen übrigens auch in der Wahlkabine durch ein Kreuzchen an der für sie sinnvollsten Stelle dokumentieren).  Ob diese bei ihrer Einstellung eine Rolle spielt, kann man nur mutmaßen. Die Mär vom absolut unabhängigen, überparteilichen Journalismus allerdings ist eine Grundlüge der Journalisterei! Man verwechselt sie gern mit Professionalität. Denn ein guter Journalist berichtet vielleicht auch im Blick seiner eigenen politischen Präferenz. Aber er berichtet fair und professionell darüber, was er sieht, erfährt und recherchiert – unabhängig von handelnden Personen und seiner eigenen politischen Überzeugung.

Es gibt viele Journalistenkollegen, die heute angefeindet werden, weil sie angeblich nicht wahrheitsgemäß berichten – über übergriffige Asylsuchende beispielsweise, die es natürlich ebenso gibt, wie die nette Flüchtlingsfamilie aus dem ausgebombten Aleppo. Das Problem liegt darin, dass der Journalist davon erfahren muss. Wenn beispielsweise die Polizei aus politischen Vorgaben heraus ihrer Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nicht nachkommt, so konnte man früher gewärtig sein, dass der eine oder andere Medienkonsument, der ein entsprechendes Gerücht vernommen hatte, in der Redaktion läutete und fragte, warum man denn nicht über den Vorfall berichtet habe. Heute gibt es dieses Korrektiv seitens der Konsumenten nicht mehr – sie setzen lieber auf netzbasierte Alternativmedien, um die Gerüchte als Gegenöffentlichkeit zu verbreiten. Leider bleibt dabei die Seriosität des klassischen Journalismus mit Recherche, dem Prüfen von Quellen oder der Darstellung einer anderen Sichtweise auf der Strecke.

Welche Schlüsse aus diesem Dilemma sind zu ziehen? Machen wir es einfach und beginnen mal bei den anderen: Mehr Ehrlichkeit in der Politik wäre vielleicht ein zentraler Ansatz. Sie muss auch regeln, dass Verwaltungen und Behörden wieder ihren Job machen und die Öffentlichkeit offen und transparent informieren.

Dazu kommt, dass wir Journalisten uns selbst hinterfragen müssen. War alles richtig, was wir in der Vergangenheit als berufliche Professionalität betrachtet haben – oder waren wir einfach nur zu bequem, unangenehme Fragen zu stellen und diese den Lesern zu beantworten? Haben wir uns dem immer versuchten Einfluss der Politik zu einfach hingegeben? Haben unsere eigenen politischen Präferenzen uns die Chance auf realistische Berichterstattung verstellt? Nehmen wir uns am Ende zu wichtig?

Und auch die Menschen, die so wenig auf die Medien und deren Ehrlichkeit setzen, sind gefragt – sie sollten zeigen, dass sie bereit sind, den Medien aus der Glaubwürdigkeitskrise zu helfen. Ein Anruf in der Redaktion der Heimatzeitung oder des lokalen Radiosenders statt des anonymen Posts im sozialen Netzwerk wären ein guter Ansatz für ein neues, vertrauensvolles, transparentes  Miteinander in unserer Gesellschaft.