Leben im kollektiven Stockholm-Syndrom

„Unter dem Stockholm-Syndrom versteht man ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.“ heißt es erklärend in der Web-Enzyklopädie Wikipedia.

Derzeit kann man die Auffassung hegen, dass unser gesamtes Land einem kollektiven Stockholm-Syndrom unterliegt.
Die Menschen wurden in ihren grundlegenden Freiheitsrechten massiv eingeschränkt, die eigentlich auch in ALLEN Krisensituationen gelten. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat dies vor einigen Tagen nachdenklich angemerkt.

Die Regierungen in Bund und den Ländern ficht das nicht an: Im Gegenteil – der Untertanentest geht weiter, indem man den Menschen eine Maskenpflicht aufzwingt, mit in ihren Wirkungen umstrittenen Masken, die nicht wenige als einen Maulkorb empfinden. Doch dem Stockholm-Syndrom in Corona-Zeiten ziehen die Menschen brav ihre Masken auf, wenn sie den Supermarkt betreten.

Viele Menschen glauben daran, was ihnen gesagt wird, dabei tappen Politik und Experten mutmaßlich selbst noch weitgehend im Dunkeln. Aber blind folgt man. Der Deutsche gehorcht – wenn es sein muss auch aus Angst. Es befremdet, wenn Menschen, die einst auf der Straße waren, um für Freiheit zu kämpfen, heute die (Volks-)Gesundheit in eine Gotteskategorie erheben, die über den einst erkämpften Rechten steht. Würde man diesem Gedanken folgen, bliebe das Leben der Menschen nachhaltig eingeschränkt, bis es eine Therapie gibt. Das ist eine Vorstellung, die man nicht guten Gewissens mit einem freiheitlichen, demokratischen Staatswesen in Einklang bringen kann.

Ein fragwürdiger „Untertanentest“

Der „Lockdown“ geht also weiter! Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich bei allen „law and order“-Fans derzeit sichtbar für die die Kanzlerschaft warm läuft, haben einmal mehr staatstragend verkündet, man wolle die Zeit der Beschränkungen zumindest erst einmal bis 3. Mai weiterführen. Dabei bezog man sich (einmal mehr) ausschließlich auf die Entwicklungen und Empfehlungen, die das Robert-Koch-Institut dokumentiert hat. Hingegen schlug man die Empfehlungen der eigens beauftragten Nationalakademie Leopoldina-Experten aus Halle, die eine sehr gute und grundsätzlichere Lageeinschätzung vornahmen, in den Wind. Und auch durchaus überdenkenswerte Ansätze verschiedenster Wissenschaftler – von der Empfehlung einer stärkeren Durchseuchung der nicht besonders gefährdeten Personen bis hin zu Sorgen über wirtschaftliche, gesundheitliche und gesellschaftliche Verwerfungen – erhielten somit erneut keinerlei Wichtung.

Dabei gaben die Akteure auf dem Podium der Bundespressekonferenz durchaus ganz korrekte Beschreibungen ab. So meinte Markus Söder, dass sich das Gesundheitswesen – bei aller berechtigter Kritik – bewährt habe. Der befürchtete Engpass sei ausgeblieben, vor allem weil im Gesundheitswesen tätige Menschen, großartige Arbeit geleistet hätten, und weil sich die Menschen zum allergrößten Teil an die Beschränkungen gehalten hätten. Die Ausweitung von Tests seien nun angesagt, zudem müsse ein personeller Ausbau der Gesundheitsämter erfolgen, um wieder eine brauchbare Rückverfolgung und Beobachtung der Infektionsketten vornehmen zu können. Woher die Massentests (und vor allem deren Auswertung derer) kommen könnten, die eventuell dazu führen würde, dass das bisherige Regierungshandeln sehr viel kritischer betrachtet werden könnte, lässt Söder vermutlich bewusst offen.

Auch Hamburgs Bürgermeister Tschentscher lobte die Gemeinsamkeit von Bund und Ländern. Man habe fast eine Vollbremsung gemacht, das öffentliche Leben sei eingeschränkt worden, um sicheren Boden unter die Füße zu bekommen – das habe man nun, bewege sich aber auf dünnem Eis. Man müsse nun an den wichtigsten Stellen Erleichterungen der Beschränkungen vornehmen und diese dosiert lockern. Man müsse verantwortungsvoll sein, nicht zuviel riskieren, um den Gesamterfolg nicht zu gefährden. Doch ein Satz ließ besonders aufhorchen: „Wir gehen davon aus, dass wir über einen längeren Zeitraum, über Monate, noch mit solchen Einschränkungen leben müssen.“ Ein Satz, den man wirken lassen muss. Denn ja, der Politiker spricht hier ziemlich locker-flockig über grundgesetzliche Rechte, die seit rund einem Monat eingeschränkt sind und dies weitere zwei Wochen bleiben sollen.

Großveranstaltungen seien bis Ende August 2020 generell untersagt, plauderte die Kanzlerin in unverfänglichem Ton und man darf vermuten, dass der Begriff einer Großveranstaltung hier ganz bewusst nicht definiert wurde. Was ist groß? Fußball-Bundesliga? Theater? Open-Air-Konzerte? Oder doch eine Buchlesung im Lesesaal der Bibliothek? Es bleibt zu befürchten, dass einmal mehr die Bundesländer den föderalen Flickenteppich das ganz nach persönlichem Gusto ausrollen – inklusive aller Irrungen und Wirrungen, die es in den vergangenen Wochen bereits gab. Beispiel gefällig? In NRW wurden bislang  Gottesdienste nicht untersagt, um den Gläubigen Möglichkeiten zu geben, in begrenzte Gemeinschaften Ostern zu begehen. In Sachsen und anderen Bundesländern war genau das untersagt…

Neu ist, dass bestimmte Geschäfte dürfen öffnen – zum einen, wenn sie weniger als 800 qm Verkaufsfläche haben – oder wenn sie Autos verkaufen, oder Fahrräder oder Bücher. Dann ist auch egal, wie groß die Verkaufsstellen sind. Möbelhäuser und große Anbieter von Mode beispielsweise, die im Allgemeinen über sehr viel mehr Platz pro Kunden aufweisen, als die kleine Boutique, sollen geschlossen bleiben. Und dass während in manchen Bundesländern Baumärkte geöffnet haben. Das ist eine grundsätzlich diskriminierende Entscheidung gegenüber bestimmten Anbietern. Es steht mittlerweile recht offen zur Debatte, dass eine Klagewelle des Handels anrollt.

Jetzt könnte man sagen: Handel gut und schön, was ist eigentlich mit Kulturstätten, mit Theatern, Galerien, Museen? Allesamt sind Einrichtungen, die mehr oder minder stark von Steuergeldern abhängen. Woher sollen die Steuern denn kommen, bei einem fortdauernden „Lockdown“? Was wird aus Restaurants und Biergärten, Hotels und Pensionen, die weiterhin geschlossen bleiben sollen? Werden wir großflächig diese „weichen Standort- und Wirtschaftsfaktoren“ in den Ruin treiben? Das wäre fatal für eine Gesellschaft, die immer stärker auf Dienstleistungen fokussiert, wo produzierendes Gewerbe an Relevanz verliert, wo mit Fantasien an Börsen gehandelt wird, statt mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen.

Geredet wurde zur Pressekonferenz auch über Gesichtsmasken, die man nun großflächig empfiehlt – im Handel, im ÖPNV, in Schulen. Dabei weiß mittlerweile ein jeder, dass diese einfachen Masken nicht nur die eigene Infektion nicht verhindern. Sie taugen auch nur wenige Minuten als Schutz anderer. Ein niedergeschriebener Gedanke dieses Tages  schleicht sich da unweigerlich in den Kopf. „Wenn diese Masken grundsätzlich untauglich sind, erleben wir dann grade in unserem Land einen Untertanentest?“ Will hier jemand ausprobieren, wie sehr sich Menschen mit stetiger Repression arrangieren, wenn nur die Angst groß genug bleibt? Oder ist man sich wirklich so sehr unsicher, was richtig und falsch ist? Wo bleibt dann die Ausgewogenheit in der Entscheidungsfindung? Entscheiden also tatsächlich 16 Ministerpräsidenten und eine Kanzlerin auf Hinweis einer sehr kleinen Expertenrunde, ob die Menschen sich treffen, gemeinsam Sport treiben, demonstrieren oder sich frei bewegen, ihrer Arbeit und ihren Hobbys nachgehen können? Ist das noch die in unserem Grundgesetz festgeschriebene Demokratie, der Meinungs- und Wissenschaftspluralismus?

„Cui bono?“ fragten die alten Römer. Wem nutzt es? Weltweit betrachtet nutzt die gesamte Krise derzeit vor allem Hedgefonds und deren Eignern, die auf einen Zusammenbruch der fantasiegefluteten Märkte in allerlei Ländern setzten. Fette Gewinne machen auch Derivatehändler, die mit Roh- und Grundstoffen beste Geschäfte machen. Das aber sind neben einige Pharma-Riesen, die derzeit in Größenordnungen öffentliche Forschungsgelder akquirieren, um schnell an Medikamente oder Impfstoffe gegen Sars-Cov-2 zu kommen, die einzigen „Gewinnler“ der Corona-Krise.

Ach und die Politik natürlich, neben der erfreulichen Tatsache, dass die Populisten aller Couleur derzeit einmal seltener zu Wort kommen. Die regierenden Wortführer geben sich staatstragend, mahnend und vorsichtig – es geht ja schließlich um die Volksgesundheit. Gesundheit: Das wichtigste Gut unserer säkularisierten Gesellschaft, der Götze unserer Zeit. „Ich wünsche Dir Glück und Gottes Segen“, lautete noch vor einigen Jahrzehnten beinahe ein jeder Geburtstagsgruß. Heute wird benannter Segen regelmäßig durch Gesundheit ersetzt. In Zeiten von Corona scheint das noch viel mehr Menschen als sonst absolut opportun. Aber ist es das wirklich?