Wie geht es weiter in der EU?

Die Europäische Union wankt, fällt aber (noch) nicht. Die Briten haben abgestimmt und die Scheidung von den ungeliebten Partnern beschlossen. Wie reagieren die Protagonisten der EU (die übrigens nicht wie in Anfällen von Größenwahn praktiziert Europa darstellt)? Sie schwanken zwischen „harte Kante“ und „fairem Umgang“. Alle aber sind entsetzt und sagen das auch Tage nach dem Referendum in Großbritannien noch. Das Entsetzen findet – quasi ohne Wertung – in die selbsternannten Qualitätsmedien Einzug. Man könnte – wenn man in einer Diktatur leben würde – über eine Gleichschaltung des Denkens und der öffentlichen Meinung sinnieren.

Kommen wir besser mal zu den Fakten: Die älteste Demokratie der Welt hat in Form einer Volksbefragung entschieden, dass man den gemeinsamen Weg der EU nicht mehr mitgehen möchte. Das hat mannigfaltige Gründe. Einige davon sind Selbstüberschätzung der einstigen Großmacht Großbritannien, nationalistische Hetze im Stile eines Nigel Farrage und innenpolitische Fehler der „Torries“. Aber: Wer glaubt, dass die Fehler nur in London gemacht wurden, irrt. Das britische Volk hat mehrheitlich gegen eine EU gestimmt, deren bürokratische Auswüchse unser tägliches Leben beeinflussen, deren Technokraten die Demokratien der einzelnen Mitgliedsländer unterwandern und deren Politik beschränkt auf die Wirtschaft zu erheblichen sozialen Verwerfungen in der Union der 28 Nationalstaaten gesorgt hat.

Die EU hat ein Verständnisproblem, die bei vielen Berichten in den Medien deutlich werden. Die Protagonisten von Juncker bis Merkel, von Schulz bis Reding sprechen von Europa und meinen doch die EU der 28, künftig der 27 Nationalstaaten. Geografisch betrachtet, gibt es in Europa 47 Länder, gut 60 Prozent davon organisierten sich in einer Wirtschaftsunion (die früher nicht umsonst EWG hieß). Denn anders als in der Schutzmacht Westeuropas, den Vereinigten Staaten, gibt es in der EU keine gemeinsame Sicherheits-, Rechts-, Fiskal-, Verteidigungs- und Außenpolitik. Die Aussparung dieser Kernthemen sind ein Gründungsfehler der EWG, EG und EU.

Die derzeitigen Akteure aber üben sich in Hoch- statt Demut, propagieren ein „weiter so“, statt eines „wir müssen uns ändern“. Bestes Beispiel ist die heutige Aussage von Jean-Claude Juncker, bei dem man sich fragen darf, wie ernst man den EU-Kommissionschef nehmen darf, der seine europäischen Mitstreiter als Chef eines Mitgliedslandes fiskalisch nachgewiesenermaßen übervorteilt hat – zugunsten seines eigenen Staatshaushaltes. Er meinte heute, das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen CETA solle man ohne die Beteiligung der Nationalstaaten-Parlamente in Kraft setzen. Ist das jetzt noch Selbstüberschätzung oder schon Größenwahn? Ist das Selbstmord aus Angst vor dem Tod? In jedem Fall ist es eine höchst unsensible Äußerung, im besten Fall ein persönlicher Fehler.

Welche Lösungen aber stehen hinter der Grundsatz-Analyse?

Es gibt eigentlich nur drei Möglichkeiten, in der EU weiterzumachen. Erste Möglichkeit wäre ein „Weiter so!“ Hier bestünde wohl die Gefahr, dass andere Mitgliedsstaaten den „Brexit“ als Vorbild sehen. Schon bald dürften sich so Österreich, die Niederlande, Ungarn und einige mehr als dem EU-Konsens verabschieden. Die EU würde zerbröseln.

Zweite und dritte Variante sind Reformen der EU, die eben wiederum in zwei Richtungen gehen könnten: Zum einen könnte man eine Föderation im Stile der USA gründen. Das hieße, dass man Nationalstaatlichkeit aufgeben würde. Es wäre der Weg in eine politische Union, die ein Schwergewicht im weltweiten Kontext bilden würde, die in einer Liga mit den USA, Russland und China spielen würde. Dass diese Art der Reform in Europa verhandelbar wäre, ist eine Illusion – zu stark sind die nationalstaatlichen und wirtschaftlichen Unterschiede in Europa.

So bleibt als einzig gangbarer Weg die Variante drei, eine Reform der EU, die den Menschen dient. Eine EU der Nationalstaaten und Regionen, die in wirtschaftlicher Konkurrenz stehen, aber politisch mit einer Sprache sprechen, wäre dann das Ziel. Dazu bedarf es mehr an direktem Einfluss der Bürger auf das System EU. Die kritische Begleitung dieses Transformationsprozesses durch die Medien gehört ebenfalls dazu. Hier muss die Journalismusbranche wieder ihre Arbeit richtig gut machen und den Menschen das Projekt einer „neuen EU“ erklären. Und: Die Menschen der EU-Länder müssten Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass EU-Betonköpfe und der aufgeblähte Bürokratie-Apparat in Brüssel und Straßburg diesen Prozess nicht politisch überleben können.

Zudem sollte man die Bürger einbeziehen, wenn man die Gesellschaftsform einer künftigen EU festlegt. Hier ist Ehrlichkeit angesagt. Entgegen gängiger Einschätzungen leben wir derzeit in der EU nicht in einer freien und schon gar nicht in einer sozialen Marktwirtschaft. Wir leben in einer demokratisch regierten Oligarchie – wo beispielsweise in Griechenland ein paar ererbte Milliardäre den vielen arbeitslosen Jugendlichen eine Nase aus Champagnerkorken drehen. Ganz ähnlich zeigt sich das System in allen EU-Ländern. Eine soziale Ausgewogenheit ist hier längst nicht mehr erkennbar. Die Macht geht vom Volke aus – so steht es in fast allen Demokratien in den Verfassungen. So sollte es auch in der Europäischen Union sein.