Europa in der Bredouille: EU ohne Plan

Deutschland ist mal wieder gespalten: Sollte man aus den Flüchtlingslagern in der Türkei Kinder nach Europa holen? Glaubt man den Zahlen des ARD-Deutschlandtrends, sind die Deutschen in dieser Sache absolut uneins. Wobei wohl die wenigsten wissen, was da an der türkisch-griechischen und vor allem an der türkisch-syrischen Grenze gerade vor sich geht.

Dröseln wir es einmal auf:
Der Bürgerkrieg in Syrien ist – bis auf die nordsyrische Region um Idlib – weitgehend Geschichte. Machthaber Assad und die ihn aus geostrategischen Gründen unterstützenden Russen haben das Land größtenteils zurückerobert. Die letzte Bastion der islamistisch-fundamentalistischen Rebellen (warum benennt sie eigentlich niemand mehr genau? Sind es IS-Fanatiker oder die einst vom Westen gehätschelten Kämpfer der Freien Syrischen Armee?) wird auch durch türkische Truppen verteidigt. Die Truppen des NATO-Landes Türkei sind in Nordsyrien einmarschiert, um vor allem die Kurden in Größenordnungen niederzumetzeln. Die gleichen Kurden übrigens, an deren Seite die EU und die USA im Kampf gegen den IS standen. Wo war nochmal genau der Aufschrei aus Europa, als Erdogan (einst als „der Irre vom Bosporus“ bezeichnet) ohne jedes Mandat in Syrien einmarschierte?

In der Türkei sitzen derweil rund vier Millionen Flüchtlinge fest – unter schäbigen Bedingungen ganz sicher. Schon zu Weihnachten forderte „Grünen-Beau“ Robert Habeck mit großen traurigen Augen, doch die Kinder dort raus zu holen. Realistisch ist das vermutlich nicht. Denn man könnte ohnehin nur die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Europa bringen. Niemand kann es nämlich für gut heißen, Eltern in den Flüchtlingslagern die Kinder abzunehmen. Humanität kann schlecht dazu führen Kinder zu Waisen zu machen. Zudem würde es einen Tatbestand heraufbeschwören, dass mittels Familiennachzug jede Menge Menschen wieder in die EU einreisen dürften. Das will niemand – nimmt man mal die Profiteure der „Flüchtlingskrise“ aus, die einen fetten Reibach mit den Migranten gemacht haben und nun erneut das große Geschäft wittern. Um eine Welle wie 2015/16 zu verhindern zahlte die EU dem türkischen Staat drei Milliarden Euro – eigentlich, um die humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern zu verbessern und im Gegenzug zu gewährleisten, dass die Flüchtlinge dort blieben, wo sie grade sind.

Damit allerdings gab man Erdogan nicht nur die Möglichkeit, Geld für seine Invasion in Nordsyrien einzusacken, sondern man überließ ihm ein gar herrliches Erpressungspotenzial. Letzteres nutzt er schamlos aus und schickt die vor Assad geflüchteten, oft höchst fanatischen Muslime in Richtung EU-Grenze zu Griechenland. Damit hat der Türke gleich noch seinem Erzfeind Griechenland eine spezielle Denkaufgabe verpasst. Was macht man mit den Trecks von Flüchtlingen? Hält man sie auf und hindert sie am Grenzübertritt, gilt man als herzlose Speerspitze Europas. Lässt man sie passieren, riegeln die mitteleuropäischen Länder ihre Grenzen ab und die nächste humanitäre Katastrophe würde sich mitten in Europa abspielen. Erdogan nutzt die Flüchtlinge als Waffe gegen die EU, die auch vier Jahre nach der Flüchtlingskrise nach wie vor keinen Mechanismus gefunden, wie man mit einem großen Andrang von Flüchtlingen umgehen könnte.

Es steht zu befürchten, dass einmal mehr auch die hoch gelobte deutsche Bürokratie nicht in der Lage wäre, einen Menschenandrang wie 2015/16 zu erfassen, zu verteilen und klug zu selektieren – von einer Rückführung in die syrische Heimat mal ganz abgesehen. Denn es steht zu befürchten, dass in einem erneuten Flüchtlingszug jede Menge vor allem auch aus Nordsyrien vertriebene islamistische Fundamentalisten sind. Diese Gefahr zu unterschätzen, wäre höchst blauäugig.