Das Gift des Zweifels

Der Aufschrei war riesig. Alexej Nawalny wurde vergiftet –  mit einem der Nowitschok-Gruppe (ein Nervengift das im Ostblock erfunden wurde) zugehörigen Abkömmling. So vermeldete es nicht etwa die „Charité“, wo der Mann behandelt wird, sondern die Bundesregierung. Schnell wurde klar gestellt: Das kann doch nur Putin gewesen sein.

Hat sich eigentlich schon mal jemand gefragt, was der davon hätte, wenn er seinen angeblich wichtigsten Kritiker vergiften lassen würde?

Der studierte Rechtsanwalt Nawalny ist in Russland de facto ein Oppositioneller ohne Opposition. Eine hohe Wahrnehmung für den selbst ernannten Korruptionsbekämpfer und Kreml-Kritiker gibt es in seiner Heimat nämlich nicht. Seine Wertigkeit erlangt er ausschließlich über die überzogene Wahrnehmung seiner Person im Westen. Warum sollte Putin also diesen für ihn völlig ungefährlichen Oppositionspolitiker ausschalten wollen? Er ist doch das perfekte Feigenblatt seines zaristischen Autokratie-Stils.

So stellt man vielleicht besser mal die Frage, die schon die alten Römer in solchen Fällen stellten: „Cui bono“ – wem nutzt es?

Da ist zum einen die Bundesregierung, die dank dieser wundervollen Nebelkerze zumindest für kurze Zeit die sich steigernden Proteste gegen die nach wie vor gültigen Corona-Maßnahmen verdrängen konnte. Man wirkt schließlich besonders handlungsstark, wenn man Sanktionen gegen das „Reich des Bösen“ fordert.

Zum zweiten hilft die mutmaßliche Vergiftung (entsprechende Belege wurden bisher nicht öffentlich vorgelegt) auch den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Man muss sich nicht wundern, wenn Norbert Röttgen und Christian Lindner als alte „Atlantiker“ sofort das Ende der Ostsee-Gas-Pipeline „Nordstream II“ einfordern. Die gleiche Forderung gibt es seit Jahren aus den USA. Denn die Amis wollen ihr Fracking-Flüssiggas selbst an Europa verkaufen. Da stört ein ungehinderter Handel mit Russland nur. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten die zwei genannten „Falken“ in Sachen Kriegsrhetorik gegen Russland doch bitte zumindest als US-Lobbyisten kennzeichnen. Das wäre schon ein wichtiger redaktioneller Hinweis an die Bürger vor der Glotze.
Dass es zuletzt zwei hochrangige US-Kongressabgeordnete waren, die den Beteiligten am Bau der Pipeline drohten, dass es straffe Sanktionen gibt, wenn die Gasleitungs-Ausstattung beispielsweise im Hafen Mukran auf Rügen weiter geht, wird ja ohnehin gern vergessen.

Gern wird von interessierten Kreisen auch die stärkere Abhängigkeit Westeuropas von Russlands Gas thematisiert. Ungefiltert werden diese Unfug-Aussagen ständig wiederholt. Derzeit fließt das russische Gas über eine Landpipeline über die Ukraine und Polen nach Westeuropa. Beide Länder beklagen, Westeuropa würde sich abhängig von Russland machen, wenn die Ostsee-Pipeline fertig ist.
So verständlich die Hintergründe (es gibt gewaltig viel Transfergeld für die Ukraine und Polen), so unsinnig ist die Argumentation: Würde Russland den Gashahn zudrehen, kommt über beide Leitungen kein Gas mehr und es wird kalt in Westeuropa.
Der Unterschied: Die Ukraine und Polen haben es bei der Landpipeline ebenfalls in der Hand, ob das Gas nach Westeuropa fließt, denn auch sie könnten theoretisch die Lieferungen stoppen. Beide Staaten haben so also Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten ebenfalls ganz gut im Griff. Dass man sich von den beiden Ländern unabhängig macht, ist also, mal ganz nüchtern betrachtet, eine Verbesserung der Situation. Nur die Amerikaner würden weiter in die Defensive geraten.

Deshalb hier vielleicht mal eine kleine Verschwörungstheorie:
Vielleicht sind es ja die menschen- und demokratiefreundlichen CIA-Schlapphüte gewesen, die mittels „False Flag“-Aktion den in Russland ziemlich unbedeutenden Kreml-Kritiker Nawalny den wirtschaftsstrategischen Interessen der USA opfern wollten? Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass man „Amerika first“ auch ziemlich rustikal durchsetzt… Somit bleibt im jeden Fall das Gift des Zweifels an dieser hanebüchenen Geschichte.

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