25 Jahre Deutsche Einheit – ein Zwischenfazit

Vor 26 Jahren fiel die Mauer, vor 25 Jahren wurde Deutschland wieder vereint. Irgendwie ist diese Zeit noch sehr präsent und doch liegt sie lange zurück. Die Ereignisse gehören zusammen wie Seele und Körper, wie Herz und Verstand. Das heiße Herz brachte einst die DDR-Bürger auf die Straße, in Plauen, Leipzig, Dresden und Berlin, in Reichenbach, Oelsnitz, Auerbach und an vielen anderen Orten. Der Verstand regierte dann 1990, als man den DDR-Bürgern die D-Mark und später die geforderte staatliche Einheit brachte – nach dem Exodus der DDR-Jugend der einzig gangbare Weg. Damals meinten viele erfahrene Politiker, dass es eine Generation dauern werde, bis die Grenze in den Köpfen überwunden sei. Heute nun ist es auf den Tag genau „eine Generation“ her, dass diese Worte fielen – Zeit für ein Zwischenfazit.

Ja, Deutschland ist ein Land, es ist viel geschafft worden in den vergangenen 25 Jahren. Die Menschen sind sich – zumindest auf privatem Feld – nahe gekommen und haben bemerkt, dass es im Osten wie im Westen nette, fähige Leute wie auch Idioten gibt. Ja, Deutschland ist ein Land geworden, das aber dennoch ein Stück weit geteilt ist – vor allem wirtschaftlich, aber auch infrastrukturell, sozial und intellektuell.

Beginnen wir mit der Wirtschaft. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 65 Prozent der alten Länder. Das Problem, das daraus resultiert: Die Steueraufkommen in den ja nun gar nicht mehr so neuen Ländern liegen pro Kopf bei nur gut 50 Prozent der alten (Flächen-)Länder. Hintergründe des Dilemmas: 1. Kein einziges DAX-Unternehmen hat seinen Stammsitz in Ostdeutschland. Kein einziges M-Dax-Unternehmen hat seinen Sitz in MeVoPo, Brandenburg, Sachen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt. So gibt es keine Körperschaftssteuern, die nun mal an den Stammsitzen der großen Konzerne gezahlt werden. 2. Durch die Abwanderung vieler junger Menschen zur Wendezeit und nach der Wiedervereinigung fehlt die Generation der 40- bis 50-Jährigen in den neuen Ländern, die erfahrungsgemäß gute Einkommen haben. Ihre Einkommenssteueranteile fallen nun in Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen an. Es fehlt zudem die Generation der 20-25-Jährigen, deren Eltern diese Kinder eben einst im Westen zur Welt brachten. Die Zahlen sind nicht jedem präsent, aber unterschwellig wissen viele Menschen, dass hier ein gravierender gesellschaftlicher Einschnitt stattfand, den man mit Transfer-Milliarden auszugleichen versuchte. Gelungen ist dies eher mäßig. Also: 1:0 für den Westen.

Weiter geht’s mit Infrastruktur: Im Osten gibt es top-ausgebaute Autobahnen und Straßen, Schienennetze und Bahnhöfe, moderne Flughäfen, sanierte Kitas und Schulen und aufgepeppte Innenstädte. Schade nur, dass immer weniger Menschen diese Strukturen nutzen – der demographische Wandel ist tiefgreifender als in den alten Ländern. In NRW und anderen West-Ländern bröckeln die Strukturen hingegen im wahrsten Sinne des Wortes. Autobahnen mit Schlaglöchern in einer Größe, dass man ihnen eigene Postleitzahlen zuordnen könnte, marode Schulgebäude, geschlossene Schwimmbäder und Kinderbetreuungseinrichtungen in der Aufbauphase sind hier eher die Regel als die Ausnahme. Der Ruf nach dem Ende eines von Himmelsrichtungen vorgegebenen Geldflusses wird lauter und ist sicher gerechtfertigt. Zwischenstand 1:1.

Sozial driftet Deutschland ebenfalls auseinander. Im Osten ist deutlich weniger Kapital vorhanden – man hatte weniger Zeit, zum Sparen. Dazu kommen seit 25 Jahren geringere Durchschnittseinkommen, geringere Renten und in der Folge eine geringere Sparquote. In den neuen Ländern liegt die Zahl der Hartz IV-Empfänger pro 100.000 Einwohner etwa ein Viertel höher als im Westen der Republik. Allerdings – und soviel Ehrlichkeit muss sein – gibt es einige gebeutelte Regionen der alten Länder, die gleiche Situationen aufweisen wie „Neufünfland“. Die Zukunft verheißt sozial in Ostdeutschland aber nichts Gutes – eine halbe Generation Menschen, die in ihren arbeitsintensiven Jahren indiskutable Löhne erhielten, geht bald in Rente. Dass diese den direkten Weg in die Altersarmut weist, scheint unausweichlich. Hier muss Politik schnell aufwachen, um diese Katastrophe zu verhindern. Es steht 2:1 für die alten Länder.

Sprechen wir noch über intellektuelle Beschäftigung mit gesellschaftlichen Strukturen. Denn diese Beschäftigung mit Problemen unserer Zeit führt zu Veränderungen einer Gesellschaft „von innen“. Die Menschen in der ehemaligen DDR haben sich das Denken nicht verbieten lassen von den Arbeiter- und Bauerndiktatoren – egal ob sie Ulbricht, Honecker, Mielke oder Krenz hießen. Die Folge war Bürgermut, der sich 1989 friedlich auf der Straße entlud. Im Westen hatte man damals nicht das Gefühl, gesellschaftliche Strukturen ändern zu wollen. Hier dominierten „Ein-Themen-Aktionen“ das Geschehen, die Friedensbewegung, die Umweltschutzaktivisten, Tierschützer oder Atomkraftgegner kämpften ihren Kampf, ohne die grundsätzliche gesellschaftliche Realität infrage zu stellen. Schaut man auf das Heute, wachsen viele Aktivitäten – einmal unabhängig von ihrer Stoßrichtung – in den neuen Ländern. Gesellschaftliche Hinterfragungen entstehen und entladen sich – oft fragwürdig – auf den Straßen. Die linksautonome Szene macht ihrem Unmut nicht nur am 1. Mai in Leipzig Luft, eine nationalistisch orientierte Bewegung namens „Pegida“ hält monatelang mit Demos in Dresden die ganze Republik in Atem. Im Osten wird Position bezogen. Auch gegen die Hegemonie Amerikas in Europa und der Welt. Auch gegen veröffentlichte Meinungen, die den russischen Bär zur Jagd ausschreiben. Auch gegen Bevormundung aus Brüssel, wenn unsinnige Bürokratie das Leben schwer macht. Das freie Denken bahnt sich im Osten einen Weg auf die Straße, um klar seine Positionen zu vertreten – ein Relikt der Wendezeit, das im Westen in dieser Dimension undenkbar wäre. Endstand 2:2.

Ein schiedlich-friedliches Remis wäre nach dieser Sichtweise das Zwischenfazit, das zeigt, dass sich vieles getan hat, aber noch eine große Wegstrecke zu gleichen Lebensverhältnissen zurückzulegen ist. Die Betrachtung zeigt aber, dass allein mit Geld die Herausforderungen nicht zu lösen sind. Umdenken und umsteuern sind nötig, ohne gute Erfahrungen des bisherigen Gesellschaftssystems über Bord zu werfen. Es gilt, transparent und in klaren Worten – ohne Rumgeeiere und Phrasendreschen – politisch mögliche Wege zu diskutieren. Denn ein demokratisches Defizit gibt es dies- wie jenseits des heutigen „Grünen Bandes“, das einst die beiden deutschen Staaten trennte: „Wahlen ändern nichts“, meinen zu viele Menschen, sind aber auch nicht bereit, ihr Engagement in eine lebendige Demokratie einzubringen. Hier wäre anzusetzen, um zum 50-Jährigen im Jahr 2050 konstatieren zu können: 4:0 für Deutschland!

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