Die Macht der Bilder und die „Lügenpresse“

Manchmal kommt es zufällig zu außergewöhnlichen Überkreuzungen von völlig verschiedenen Themen. So auch gestern.

Da geben Reporter zu, dass sie die Öffentlichkeit getäuscht haben. Das schöne Bild der gemeinsamen Trauer der wichtigsten Staatschefs der Erde in Paris war nur ein gestelltes Foto für die Medien. Nicht, dass man das von allein öffentlich gemacht hätte, nein, nein. In sozialen Netzwerken wurde der Fake aufgedeckt und erst danach erklärte man auch offiziell der Öffentlichkeit, dass dieses Bild eben nicht den Trauerzug darstellte, sondern nur Kraft des besseren Bildes zur Veranschaulichung dienen sollte. Kein Wort der Entschuldigung für eine unglaubliche Täuschung der Öffentlichkeit, kein Wort des Eingestehens eines Fehlers. Statt dessen faseln sie über Sicherheitsgründe und machen sich zum Komplizen der Mächtigen, die sich scheinbar aus Angst vor ihrem Volk regelrecht in die Hosen machen. Warum sonst sollten sie abseits der Bevölkerung die Macht des Bildes nutzen wollen?

Quasi als überkreuzendes Thema dazu kommt die Meldung über die Medien, dass der von den „Pegida“-Demonstranten jüngst oft genutzte Begriff „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres gewählt worden ist, weil es eine unrühmliche Geschichte seit dem ersten Weltkrieg habe, weil es in der Naziszene üblich sei und weil es die gesamte Medienbranche über Bausch und Bogen diffamiere. Gewählt wurde das Unwort des Jahres wie bereits seit 1991 von vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten. Geht man mal davon aus, dass der Journalistenkollege ob des gewählten Begriffes seine Befangenheit erklärt hat, darf man nur hoffen, dass die vier Sprachexperten nicht in vorauseilendem Gehorsam das Wort erwählten.

In jedem Fall ist der Kontext beider Ereignisse eine höchst unglücklichen Fügung für die Medienkollegen. Spott und Häme gibt es für jene, die ihre journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigten. Dennoch geht die ganze Sache tiefer – sie enthüllt eine schwierige Melange zwischen politisch und wirtschaftlich Mächtigen und denen, die ihnen eigentlich auf die Finger schauen müssten. Dass so etwas gerade am Vortag des 125. Geburtstag des vermeintlich unbestechlichsten Journalisten der Neuzeit, Kurt Tucholsky, herauskommt, gibt der Geschichte einen fast schon dramatischen Anstrich.

Journalisten, die schreiben, was die Mächtigen wollen – das war in Diktaturen üblich. In Demokratien aber sollen sie kritisch und dennoch inhaltlich korrekt als vierte Gewalt im Staate agieren. Wenn man sich zum Mündel der Politik und Wirtschaft macht, muss man sich nicht wundern, wenn einen unzufriedene Menschen mit dem Unwort des Jahres betiteln – bei allem Verständnis dafür, dass der Begriff geschichtlich höchst negativ besetzt ist. Doch wo liegt die Lösung dieses Dilemmas? Vielleicht im Pressekodex, der vor 24 Jahren, als ich erstmals journalistisch tätig wurde, noch in jeder Redaktionsstube hing – als Mahnung und als Leitplanke für die tägliche Arbeit.

Wenn alle Kollegen sich darauf besinnen, dann wird das 2014-er Unwort des Jahres sicher künftig eher selten im Mundes geführt.

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